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Das BUCH:

"Burn-out,
wenn Frauen über ihre Grenzen gehen"

Orell Füssli Verlag
2007

 

Psychotherapie  

Traumatherapie

 
  • Burn - Out bei Frauen

  • Freundinnen am Abgrund des Burn-out

  • Perfektionismus

  • Die Fleiss-Falle

  • Burnout, Stress und Meditation

  • Burnout und frühere Traumatisierungen     


  • Ess-Störungen - Magersucht/Bulimie/Freßsucht


  • Trauma - Ein Überblick

  • Neuer Therapieansatz bei Phobien und spezifischen Ängsten - EMDR

  • NEU: Achtsamkeit in der Praxis der Traumatherapie. (pdf)
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    Ess-Störungen - Magersucht/Bulimie/Freßsucht

    von Maga. Sabine Fabach (2003)


    1) Einleitung

    2) Magersucht

    3) Bulimie

    4) Ess/Fresssucht - Fettleibigkeit

    5) Literaturverzeichnis




    1) EINLEITUNG

    Das Phänomen "Essstörungen" hat in den letzten fünfzehn Jahren in der breiten Öffentlichkeit zunehmend an Bedeutung gewonnen.
    Essstörungen, so wie sie uns in der heutigen Form der Magersucht, Ess/Brechsucht und Fettleibigkeit bekannt sind, treten überwiegend in den westlichen Industrieländern auf, die u.a. durch Nahrungsüberfluß, eine starke Konsumorientierung und die Entwicklung eines genormten und funktionalisierten Körperbildes geprägt sind.
    Es stellt sich daher die Frage, ob die Entstehung dieser Krankheitsformen nicht auch mit allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklungen zusammenhängt.
    Da Essstörungen vor allem bei Frauen auftreten, ist für das Verständnis dieser Problematik immer auch die geschlechtsspezifische Sozialisation und die gesellschaftlichen Zuschreibungen und Anforderungen an Frauen mitzudenken.

    Frauen mit Ess-Störungen verfügen immer über ein negatives Körpergefühl, welches sich aus den widersprüchlichen und wechselnden Zuschreibungen der Umwelt entwickelt.
    Selbstwertgefühl und das Verhältnis zum Körper beeinflussen sich gegenseitig und zwar je nach momentaner Selbstwahrnehmung, da ihre Identität sehr stark mit ihrer eigenen Attraktivität verwoben ist.
    Der weibliche Körper ist für Frauen und Männer ein gefürchtetes und gleichzeitig begehrtes Objekt. Körper dienen der (emotionalen ) Versorgung, Körper dienen der Befriedigung, Körper dienen dem Verkauf.
    Diese Grundgegebenheiten erschweren es Frauen entspannt und sicher in ihrem Körper zu leben.

    Die Geschichte der Schlankheit

    Schlankheit bis hin zur Magerkeit ist im Laufe der Geschichte immer mit besonderen Attributen versehen worden. So waren sehr magere Frauen in den vorigen Jahrhunderten ein Wunder Gottes, Askese wurde mit besonderer Gläubigkeit und Moral gleichgesetzt.
    In unserem Jahrhundert entwickelte sich Schlankheit, vor allem in den Sechziger Jahren, zu einem Synonym für sexy, abenteuerlustig und frei, eine Abbild für die Abkehr von den alten Konventionen. Das Fotomodell Twiggy repräsentierte sehr deutlich diese Verknüpfung von Schlankheit und Widerstand gegen die alten Normen.
    In den sechziger Jahren entstand auch der bis heute andauernde Jugendkult und Jugend wurde/wird mit Schlanksein gleichgesetzt. Dieser neu entstandene Körperkult mit Fitneß, Körperpflege und Schlankheit wurde genau zu der Zeit zu einem neuem Wert, als Frauen versuchten, in der Berufswelt ernst genommen zu werden.

    Der Körper einer Frau ist nie nur ein Körper an sich, sondern immer auch Träger vieler Zuschreibungen und Eigenschaften. Dieser Körper kann somit in der Suche nach der eigenen Identität als Frau zum Schlachtfeld in diesem Prozeß werden.

     

    2) MAGERSUCHT ODER ANOREXIA NERVOSA

    Erscheinungsbild

    * Der Beginn einer Magersucht liegt vor dem 25 Lebensjahr.

    * Es kommt zu einem massiven Gewichtsverlust von mind. 15% des ursprünglichen Körpergewichts.

    * Es besteht eine starke Angst vor Gewichtszunahmen oder Angst vor dem Dick-werden, obwohl Untergewicht besteht.

    * Störung der eigenen Körperwahrnehmung hinsichtlich Gewicht, Größe oder Form, d.h. die Person berichtet sogar im kachektischen Zustand, sich "zu dick zu fühlen", oder daß ein Teil ihres Körpers "zu dick" sei.

    * Ab einem gewissen Untergewicht kommt es zu einem Aussetzen der Menstruation.

    * Chronische Unterernährung führt zu biochemischen Veränderungen, die Denken, Fühlen und Verhalten erheblich beeinflussen.

    Verlauf

    Der Beginn der Krankheit liegt meist am Anfang der Pubertät. Es beginnt in vielen Fällen mit einer Diät, wie sie hundert andere Mädchen und Frauen auch machen (kein anorektisches Mädchen beschließt auf Haut und Knochen abmagern zu wollen).
    Oft gibt es ein Ereignis (Foto, Bemerkungen,...) daß das Gefühl entstehen läßt "zu fett" zu sein, oft auch eine verunsichernde Erfahrung (Schulwechsel, Ferienlager,...). Wenige haben zu diesem Zeitpunkt tatsächlich Übergewicht. Dem Beginn des Fastens geht eine Zeit voraus, in der die Mädchen bemerken, daß sie kein "richtiges" Gefühl zu sich selbst finden, sie geraten durch das Entstehen von runderen Körperformen in Panik und Unsicherheit, fühlen sich den Anforderungen der Pubertät (Unabhängigkeit, eigene Persönlichkeit) nicht gewachsen.

    Hungern hat etwas exhibitionistisches, erregt große Aufmerksamkeit (Hungerstreik).
    Anorektische Patientinnen erzählen meist im Laufe der Therapie, im Hungern eine Möglichkeit gesehen zu haben, Aufmerksamkeit zu erlangen, positive Aufmerksamkeit und Zuwendung.

    Magersüchtige können im akuten Krankheitsstadium ihre Gefühle nicht klar einschätzen.
    Sie unterziehen sich systematisch einer, wie sie es nennen, "Gehirnwäsche".
    Quälende Hungergefühle werden umgedeutet in etwas angenehmes, wünschenswertes. Genährt wird diese permanente Verleugnung des Leidens und der Qual durch die panische Angst, die Kontrolle über ihr riesiges Interesse an Nahrung zu verlieren. Gelingt diese Kontrolle, haben viele Mädchen das Gefühl, daß ihre Persönlichkeit einen Kern besitzt, das Dünn-sein verleiht ihnen Macht, Stolz und Stärke. Ebenso werden Erschöpfung, Müdigkeit und Schmerzen bei den körperlichen Aktivitäten zum Zweck des Kalorienverbrauchs, nicht wahrgenommen oder uminterpretiert.

    Eine Folge des Fastens ist die Verstärkung aller Sinneswahrnehmungen. Am Anfang wird diese Phänomen als angenehm bereichernd empfunden, später als störend (lernen geht nur noch in der Nacht, weil die Geräusche des Tages als unerträglich laut empfunden werden, Sonnenbrille).
    Eine weitere Folge ist der Verlust des Zeit- und Realitätssinns. Die Gedanken kreisen zwanghaft um Nahrung und Essen (Interesse für Kochen...). Nahrung wird eigentümlich behandelt (gespielt, Geheimniskrämerei...).

     

    Die Familien

    Die Familien magersüchtiger Mädchen stammen meistens aus der Mittel- und Oberschicht (hohes Einkommen, gehobene Position), es gibt eher wenig Kinder und auffallend wenig Söhne in diesen Familien, sowie kaum "zerbrochene" Familien.
    Diese Töchter sehen sich mit sehr hohe Erwartungen konfrontiert, sie werden in ihren Leistungen gefördert und ermutigt (Musikunterricht, Reisen, gute Schulen...).
    Die Mädchen leben in dem ständigen Glauben, ihren Eltern beweisen zu müssen, diese Privilegien auch zu verdienen. Sie fühlen sich dazu verdammt "etwas besonderes" zu sein.
    Die Väter legen auffallend viel Wert auf intellektuelle und sportliche Fähigkeiten der Töchter, schenken ihrem Aussehen wenig Bedeutung, legen aber allgemein viel Wert auf Fitneß und Schönheit.
    Trotz äußerlicher Erfolge fühlen sich diese Mädchen innerlich oft als "Zweitbeste", ihre Leistungen sind nicht gut genug.

    Die Mütter verzichteten oft auf Beruf und Karriere zugunsten der Familie. Sie ordnen sich den Männern scheinbar unter, respektieren diese aber nicht wirklich. Sie sind selbst sehr "gewichtsbewußt" oder beschäftigen sich zwanghaft mit irgendwelchen Schönheitsfehlern (Cellulitis).
    In diesen Familien muß alles perfekt und harmonisch sein. Die Kindheit der später magersüchtigen Mädchen wird auch so erinnert, es gab "keinerlei Probleme" oder keine offen ausgetragenen Konflikte oder Spannungen. Sie fühlten sich verpflichtet, durch besondere Anstrengungen und Rücksichtnahme, die Harmonie aufrecht zu halten.

    Diese Mädchen erhalten keinerlei Ermutigung eigene (abweichende) Bedürfnisse zu äußern oder eigene Entscheidungen zu treffen. Es gab keine Unterstützung für die Entfaltung eines Bewußtseins für eine eigene Identität. Diese Kinder wachsen in Verwirrung über verschieden Körperempfindungen und emotionale Erfahrungen auf und können nicht entscheiden, ob eine Empfindung in ihnen selbst entstanden ist oder von außen kam.

     

    Verständnis und Umgang

    Die Magersucht steht in einem engen Zusammenhang mit abnormen Interaktionsmustern in der Familie, daß die Klärung der Familienproblematik ein notwendiger Bestandteil der Therapie ist.
    Das Einbinden und Mitarbeiten der Familie ist sinnvoll und gelingt um so besser, je jünger die Mädchen sind. Besonders schwierig wird die Bewältigung der Magersucht, wenn die Familie nicht bereit ist zu akzeptieren, daß die Krankheit der Tochter mit Problemen innerhalb der Familie zusammenhängt.

    Hilde Bruch (1978) empfiehlt ein Setting, in dem die Mädchen in Einzeltherapie behandelt werden und die Familie immer wieder zu gemeinsamen Sitzungen dazukommt. Die Mädchen werden in der Einzeltherapie ermutigt und gefördert, autonome Bedürfnisse zu erkennen und zu entwickeln und können diese dann in den Familiensitzungen äußern. Hier besteht die Chance, daß die Eltern die perfekte Fassade aufgeben und ihre eigenen Konflikte zugeben und bearbeiten können.
    Die Arbeit mit nicht einsichtigen Familien bezeichnet die Autorin als wahre Übung in Frustration.
    Typisch für solche Familien ist es, daß nie direkt geantwortet wird, sondern immer ein anders Familienmitglied erklärt, was der andere fühlt, denkt und meint.

    In der Bearbeitung der Magersucht darf nicht nur eine Facette der Krankheit betrachtet und behandelt werden. Weder der ausschließliche Blick auf die Gewichtskontrolle noch die Lösung der psychische Probleme dürfen im Vordergrund stehen, da z.T. lebensbedrohliche Gefahren damit verbunden sind. Beide Aspekte sollten immer im Vordergrund stehen.
    Mit Klientinnen, die unter einem bestimmten Minimalgewicht liegen, ist keine sinnvolle Psychotherapie möglich, da die lebensbedrohliche Situation nicht ignoriert werden kann.
    Reine Gewichtskorrektur(künstliche Ernährung, Verhaltensmodifikation) ohne Arbeit an den seelischen Wurzeln der Krankheit birgt das Risiko, daß es zu schweren Rückfällen, Depressionen bis zum Suizid kommt.

    Im Mittelpunkt einer Therapie steht neben den bereits erwähnten Aspekten auch die Arbeit am Selbstausdruck, an der verfälschten Wahrnehmung des eigenen Körpers.
    Anorektikerinnen sind im Inneren davon überzeugt, beschädigte, ungehobelte Personen zu sein und nie "gut genug" zu sein. Die Therapie muß helfen, diesen Irrtum aufzuklären, und den eigenen Wert und die eigene Substanz anzuerkennen.
    Anorektikerinnen sind als Klientinnengruppe sehr ambivalent und oft ablehnend. Sie sind bemüht, ein Programm, das auf Gewichtszunahme abzielt, zum Scheitern zu bringen. Sie haben das Gefühl, durch ihr Dünn-sein eine Lösung für ihr Problem gefunden zu haben. Trotzdem ist ihnen klar, daß an ihrer Art, sich dem Leben zu stellen, irgend etwas nicht stimmen kann.

    Die Therapeutin kann Hoffnung wecken, daß es andere Lösungen gibt und gemeinsam mit der Klientin neue Wege erarbeiten, mit den Lebensproblemen umzugehen.
    Erst wenn es Alternativen gibt, kann das Symptom Magersucht aufgegeben werden.

     

    3) BULIMIE ODER ESS/BRECHSUCHT

    Erscheinungsformen

    Bulimie zeichnet sich durch Freßanfälle aus, in denen die Person große Mengen von Nahrungsmittel ohne Unterbrechung zu sich nimmt. In der Regel werden solche Anfälle durch anschließendes selbstinduziertes Erbrechen beendet.
    Diese Freßanfälle sind von einem Gefühl begleitet, die Nahrungsaufnahme nicht mehr unter Kontrolle zu haben.
    Um einer Gewichtszunahme entgegenzusteuern, greifen die Betroffenen regelmäßig zu Maßnahmen wie selbstinduziertes Erbrechen, dem Gebrauch von Abführmittel, strenge Diäten oder Fastenkuren oder übermäßiger körperlicher Betätigung.
    Die Gedanken der betroffenen Frauen dreht sich ständig um ihre Figur, ihr Gewicht und um das Essen. Die Angst zuzunehmen, ist sehr groß.
    Ihr Körpergewicht ist hingegen als normal zu bezeichnen.
    Bulimikerinnen empfinden sich selber als häßlich und abstoßend in ihrer Körperlichkeit, zweifeln stark an sich selbst und ihren Wert.

    Bedeutung der Bulimie und Umgang damit

    Manche betrachten Bulimie als eine Art "mißglückte" Magersucht und zwar in dem Sinne, daß die Frauen nicht in der Lage sind, ihr Gewicht allein nur durch Nahrungsverzicht zu halten oder zu reduzieren. Auch vielen bulimischen Frauen wäre es lieber, wenn sie nicht erbrechen müßten.
    Bei näherem Verständnis des Symptoms Bulimie wird aber deutlich, daß die Frauen einen bestimmten Grund haben, genau diese Ess-Störung für sich "gewählt" zu haben.
    Im Gegensatz zu Magersüchtigen löst ihr Eßverhalten nicht das Gefühl aus, sich stark und selbstbeherrscht zu fühlen. Im Gegenteil, ihr dominierendes Gefühl ist, die Kontrolle verloren zu haben, versagt zu haben. Die daraus resultierenden Schuldgefühle und die Scham trägt sie aber nicht nach außen, sondern versucht "Normalität" vorzutäuschen. Aber sie selbst weiß, daß diese Normalität unecht ist und die Angst, daß jemand diesen "Betrug" aufdeckt, ist ständig präsent. Diese Geheimhaltung ihres Eßverhaltens ist bereits ein Hinweis auf die symbolische Bedeutung.

    Bulimisches Eßverhalten symbolisiert, daß "obwohl die betroffene Frau als normal, attraktiv, erfolgreich und zupackend gilt, sie selbst allein weiß, daß sie in Wirklichkeit einsam und hungrig ist. Es mag so aussehen, als könne sie offen und realistisch mit ihren Bedürfnissen umgehen, als könne sie diese äußern und dafür sorgen, daß sie erfüllt werden. Tatsächlich aber hat sie das Gefühl, ein gieriges Baby zu sein; als seien ihre Bedürfnisse zu gewaltig, um je erfüllt werden zu können, zu zerstörerisch, als daß andere Menschen sie auch nur zu sehen bekommen dürften" (Dana; Lawrence, 1989, S. 173).

    Für Bulimikerinnen ist das Aufnehmen von Nahrung genauso wichtig, wie etwas wieder von sich zu geben. Beides, aufnehmen und wieder loswerden, sind wichtige Bestandteile und drücken die starke Ambivalenz bulimischer Frauen sehr deutlich aus. Bulimikerinnen spüren ihre Bedürftigkeit.
    Mittels Nahrung versuchen sie sich zu geben, was sie brauchen. Aber aufgrund ihrer früheren Erfahrungen erfüllt sie dies mit Schuld und Entsetzen, sie erbricht alles und befördert es wieder aus sich heraus und flüchtet sich in einen Zustand von Leere und Isolation, welcher leichter und sicherer zu ertragen ist als ihre maßlose Gier.
    Gierig und bedürftig zu sein ist wie auch die maßlos aufgenommene Nahrung, schlecht und giftig.

    Bulimisches Eßverhalten drückt auf sehr eindringliche Weise den Konflikt zwischen dem Erscheinungsbild einer Frau, die sauber, gut, tüchtig und bedürfnislos ist und den dahinter liegenden unbequemen, bedürftigen, gierigen Anteilen aus.

    Wichtig für den Umgang mit bulimischen Frauen durch andere als auch der bulimischen Frau selbst, ist daher das sich liebevolle Annähern an diese "schlechten" gierigen Bedürfnisse. Bedürfnisse, etwas von anderen haben zu wollen, ohne daß sich diese Zuwendung und Aufmerksamkeit in etwas für sie selbst schädliches verändert (z.B. Sexueller Mißbrauch - das Bedürfnis nach Zuwendung und Anerkennung führte zu etwas Verletzendem, Beschämendem und Zerstörerischem ).

    Durch das Erbrechen können nicht nur die als bedrohlich empfundenen Bedürfnisse wieder aus sich heraus gebracht werden, sondern noch andere Gefühle, die die Frau als falsch und böse zu bewerten gelernt hat. Bulimie erlaubt, verbotene Gefühle wie Wut, Widerwillen und Angst zum Ausdruck zu bringen, Gefühle, die die Reaktion auf Forderungen anderer an die bulimische Frau sind.

    Dies bedeutet, daß die Frauen für sich einen neuen Umgang mit ihren bis jetzt negativ bewerteten Gefühlen lernen müssen, bevor sie ihr Eßverhalten aufgeben können.

    In diesem Sinne verstärkt Druck auf die Veränderung ihres bulimischen Eßverhaltens nur die Symptomatisch, wenn keine Alternativen im Umgang mit ihren Gefühlen und Bedürfnissen zur Verfügung steht.

     

    4) ADIPOSITAS ODER FETTLEIBIGKEIT / FRESSSUCHT

    Erscheinungsformen

    Adipositas ist die Folge einer erhöhten Energiezufuhr mittels Nahrung. Dies führt zu einer Zunahme der Energiereserven des Körpers in Form von Fett.
    Das Normalgewicht wird um ca. 20 -30 % überschritten. Nur aufgrund des Körpergewichts von Fettsucht zu sprechen ist problematisch, wichtig ist vor allem die subjektive Befindlichkeit und das Erleben der Betroffenen miteinzubeziehen.

    Verständnis und Bedeutung

    Die Dicken sind keine homogene Gruppe, sondern "...Menschen, für die Essen die mißbräuchliche Funktion hat, Probleme, die ansonsten unlösbar erscheinen, auf diese Art zu bewältigen." (Bruch, 1994, S.13)

    Fettleibigkeit kann auch eine wichtige Funktion erfüllen und ist nicht in jedem Fall zu pathologisieren. "Es gibt Menschen, die besser zurechtkommen, wenn sie übergewichtig sind - so hinderlich dies im einzelnen auch sein mag. Fettsucht, wenngleich Zeichen einer mangelhaften Anpassung, kann als Schutz gegen verschiedene schwerwiegende Krankheiten dienen, sie stellt den Versuch dar, gesund beziehungsweise weniger krank zu sein" (Bruch, 1994, S. 14).
    Diesem positiven Schutzfaktor des Eßverhaltens sollte daher immer Aufmerksamkeit gewidmet werden, da er ein positiven Versuch der betroffen Frau darstellt, mit ihren Konflikten zurechtzukommen.

    Eine Frau, die zwanghaft ißt, kann sich das, was sie ißt, nicht zu eigen machen. Sie verschlingt alles, schnell und gründlich und mit schlechtem Gewissen. Und es bleibt immer ein Gefühl zurück, daß es nicht genug war. Viele Frauen machen die Erfahrung, wenn sie mit Genuß und sehr bewußt essen, eher ein Gefühl von Sättigung sich einstellt.

    Der "Hunger" der Eßsüchtigen bleibt, da ihr eigentlicher Hunger nicht mit Nahrungsmittel zu stillen ist.

    Einen weiteren Aspekt im Verständnis von Adipositas beschreibt Susie Orbach in ihrem Antidiätbuch I (1978), nämlich daß der entscheidende Faktor der ist, daß "Eßsucht mit dem Wunsch verbunden ist, dick zu werden". (S. 30) Das mag für viele völlig absurd erscheinen, aber diesen Gesichtspunkt miteinzubeziehen, kann helfen, den Umgang vieler Eßsüchtigen mit dem Essen besser zu verstehen.

    Essen ist für Eßsüchtige eine quälende und schuldbeladene Handlung. Alles dreht sich um Essen und um Nicht-Essen und doch essen betroffene Frauen zu allen möglichen Tages und Nachtzeiten, aber gegenüber Außenstehenden sind sie zurückhaltend und diätbewußt.
    Dicke Frauen verheimlichen ihren Heißhunger, ihren Appetit. Oft wenden sie alle möglichen Tricks an, um sich zu beherrschen oder vom Essen abzuhalten. Denn Essen hat eine magische Anziehungskraft, der sie nicht widerstehen können. An vielen Beispielen zeigt sich, daß auch bei allem Bemühen, die Eßsucht nicht so leicht in den Griff zu kriegen ist. Einfach nur weniger zu essen ist nicht möglich.

    Bevor eine Frau von ihrer Eßsucht loskommt, muß sie herausfinden, was für eine Bedeutung das Dicksein für sie hat. Wenn sie erkennt, in welcher Weise ihre Fettschicht für sie dienlich ist, kann sie ihr Eßverhalten aufgeben und sich auch mit weniger Gewicht wohl fühlen, da sie ihre Fülle nicht mehr braucht. Da Dicksein in unserer Gesellschaft so negativ bewertet ist, mag es vielen schwerfallen zu verstehen, daß jemand gerne dick sein möchte, bzw. seine Fülle braucht.

    Folgende Bespiele mögen diese Überlegungen deutlicher machen.
    Für einige Frauen stellt ihre Fettschicht Stärke dar, oder vergrößern sie, um nicht immer übersehen zu werden. Für andere stellt ihr Fett eine Sicherheit dar, da sie eine Entschuldigung für jeden Mißerfolg liefert. Andere stellen sich Dünnsein als zerbrechlich und fügsam sein vor, Dicksein verleiht ihnen "Gewicht" und Autorität.
    Viele Frauen empfinden sich in ihrer Fülle sexuell nicht mehr so ausgeliefert, d.h. daß sie nicht mehr nur als sexuelles Wesen von anderen Männern wahrgenommen werden. Sie müssen nicht mehr mit anderen Frauen konkurrieren und sich bemühen, bei anderen Geschlecht gut anzukommen. Mit viel Gewicht können sie viele Dinge entspannter genießen und wirklich das tun, was sie wirklich wollen.
    Fast jede Frau finden auch positive Aspekte in ihrem Dicksein.

    Daraus folgt, daß Eßsucht nicht eine Folge von zu schwachem Willen oder Hemmungslosigkeit (auch negativ bewertet) zu begreifen ist, sondern als einen Versuch, sich an eine Reihe von Umweltanforderungen anzupassen.

    Wenn Frauen ihr Eßverhalten als einen Versuch, mit schwierigen Anforderungen zurechtzukommen verstehen, ist es möglich, daß sie sich selbst mit all ihrer Fülle positiv bewerten. Auf dieser Basis können sie dann versuchen andere Lösungen zu finden, um auf die Anforderungen ihrer Umwelt zu reagieren.
    Ihre Rolle als Frau, die Erwartungen ihrer Umgebung an sie als Frau, ist ein entscheidender Faktor im Verständnis des Lösungsmodells "Essen".

    Eßsucht kann aber auch als aktiven Widerstand gegen die gesellschaftlichen Normen und Regeln verstanden werden. Gegen die Bescheidenheit und Bedürfnislosigkeit als Frau (die Mutter ißt immer zuletzt und das was übrig bleibt) und gegen die oberflächlichen Schönheitsideale, die von ihr gefordert werden.
    Die eigene Fettschicht kann aber auch ein Depot für all den zurückgehaltenen Ärger sein, für die nicht gelebten Bedürfnissen, für die gebremste Lebenslust und Gier, für den Wunsch, auch einmal versorgt werden und vieles mehr.

    Wichtig für die Veränderung des eigenen Eßverhaltens ist die Reflexion des eigenen Empfindens sowie der eigenen Wünsche.

    Für den konkreten Umgang mit dem Essen haben sich folgende Hinweise als hilfreich erwiesen.
    1. den Teufelskreis von Fasten-Essen-Fasten zu durchbrechen.
    2. Sensibilisierung für Hungergefühl: keine Nahrungsmittel sind verboten, sondern alles soll langsam und genußvoll gegessen werden., Kosten und Schmecken soll gelernt werden.
    3. Schuldgefühle abbauen,
    4. Innere Stimme schulen, für das,was man möchte. Sättigung und Hunger spüren. Erlaubnis, auch Essen stehenzulassen.

    Keine neuen Vorschriften und Normen, sondern Selbstreflexion.

    "Essen kann Gefühle nicht beseitigen; es kann nichts besser machen, es kann keine innere Leere füllen." ( Orbach,1983, 63 )

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    Essanfälle adé: Der autobiografische Ratgeber für ein suchtfreies Essverhalten.
    Von Mag. Olivia Wollinger , 2015
    http://www.aivilo.at/publikation/


    LITERATURLISTE

    Bruch, Hilde (1978) Der goldene Käfig. Das Rätsel der Magersucht. S. Fischer-Verlag.

    Bruch, Hilde (1994) Ess-Störungen. Zur Psychologie und Therapie von Übergewicht und Magersucht.

    Buchinger, Birgit; Hofstadler, Beate (1997) Warum bin ich dick? Lebensprobleme und Übergewicht bei Frauen. Döcker Verlag: Wien.

    Dana, Mira; Lawrence, Marilyn (1989) "Gift ist Nahrung, die krank macht": Bulimie als Metaphter. In: Lawrence, Marilyn (Hg.) (1989) Satt aber hungrig. Frauen und Ess-Störungen. Rowohlt Taschenbuch Verlag : Reinbeck bei Hamburg.

    Lawrence, Marilyn (Hg.) (1989) Satt aber hungrig. Frauen und Ess-Störungen. Rowohlt Taschenbuch Verlag : Reinbeck bei Hamburg.

    Orbach, Susie (1978) Antidiätbuch I. Verlag Frauenoffensive : München.

    Orbach, Susie (1983) Antidiätbuch II. Verlag Frauenoffensive : München.

    Stahr, Ingeborg; Barb-Briebe, Ingrid; Schulz, Elke (1995) Ess-Störungen und die Suche nach Identität. Ursachen, Entwicklung und Behandlungsmöglichkeiten. Juventa Verlag : Weinheim und München.

     

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